Wie man seine Kreativität ankickt

Wie man seine Kreativität ankickt
2. March 2022 Sherin Kneifl

Unendliche Weiten erwarten mich, wenn ich mein MacBook Air aufklappe. Die Tausenden Sterne der Milchstrasse meines Bildschirmschoners sollen mich animieren, über Stars zu schreiben. Meine Finger auf der Tastatur tippen ein Kauderwelsch – laksfjjkehfshetealksjdkasj erscheint auf der Seite. Das waren die Lockerungsübungen zum Aufwärmen. Gedankenverloren starre ich den Nonsens an. Meine Aufmerksamkeit kreist in höheren Sphären. Ich bin auf der Suche nach ihm, dem einen, Besonderen. Er jedoch macht sich rar. Zum Zeitvertreib surfe ich in Onlinestores, beäuge schwarze Velours-Booties in Grösse 38 oder ziehe mir deutschen Sprechgesang auf Youtube rein. So lange, bis wir uns gefunden haben. Endlich steht er vor mir, der erste Satz meines Textes. Genau so läuft es ab. Jedes Mal. Das ganze Szenario kann ein Weilchen dauern. In Panik gerate ich deshalb nicht, auch wenn die Deadline für den Beitrag scheinbar mit Lichtgeschwindigkeit näher rückt. Denn ich weiss, er wird kommen.

 

Der geniale Geistesblitz ist eine Illusion. Entgegen der populären Vorstellung besteht ein kreativer Akt aus mehreren, oft langwierigen Prozessen. Kein geistiges Produkt ohne Vor- bereitung, das heisst ohne die intensive Auseinandersetzung mit dem fraglichen Gebiet. Wichtig ist, nichts erzwingen zu wollen. Am besten, man lässt das Problem links liegen. Monotone Tätigkeiten (bügeln, Auto fahren, Gemüse rüsten, online shoppen) lenken das Gehirn ab, sodass es Kapazitäten frei hat, nebenbei die Lösung zu suchen. Ideen sind wie Grippeviren. Sie besitzen eine Inkubationszeit. Während dieser wird das Knäuel an gesammelten Informationen entwirrt, und wir folgen dem roten Faden hin zum Aha-Erlebnis.

 

Auf Knopfdruck gibt es keine Erleuchtung, einige Komponenten machen Einfallsreichtum aber wahrscheinlicher. Stress etwa ist kontraproduktiv. Hinter einer (Schreib-)Blockade steckt meist ein verdrängtes Gefühl, das mit dem aktuellen Schaffen wenig zu tun hat. Schriftsteller, Film- und Songschreiber wie David Lynch, Paul McCartney, Mick Jagger, Siri Hustvedt, Paul Auster oder Leonard Cohen meditieren regelmässig, um mehr Klarheit zu erhalten. So können sie negative Gefühle besser deuten oder sich in einen Zustand positiver Bereitschaft versetzen, indem sie Situationen vor ihrem inneren Auge wachrufen, in denen sie glücklich waren. Gerade Künstler sagen oft, sie schöpften ihre Inspiration aus Krisen, hätten mit Liebeskummer die schönsten Zeilen geschrieben. Gleichwohl: je beschwingter die Laune, desto flexibler das Denken, desto facettenreicher das Werk! Ein anregendes Umfeld ist denmach von Vorteil. Im günstigen Fall herrschen stets dieselben Bedingungen. Ob Sie ein überladenes Pult oder einen leer geräumten Arbeitsplatz bevorzugen, ist Geschmackssache. Der eine braucht Ruhe, die andere beflügelt Guns N’Roses’ «Use Your Illusion» I + II. Wiener Literaten schrieben gern im Cafe ́an ihrem Stammtisch, bestellten jeden Tag eine Melange und das Kaisersemmerl mit Butter und Marillenmarmelade. Schon sprudelte es. Ach ja: Die Farbe Blau regt die Fantasie doppelt so stark an wie Rot.

 

Kreative Köpfe sind Nonkonformisten. Sie kombinieren oft Dinge miteinander, die eigentlich nicht zusammenpassen. Diese Fähigkeit zum Unkonventionellen kann man trainieren mit Gehirnjogging, bei dem es kein Richtig oder Falsch gibt, sondern nur gewöhnliche oder originelle Antworten. Wer ausserdem bereit ist, ein Risiko zu wagen, und sich von Skeptikern nicht beirren lässt, schafft Spektakuläres! Auf ans Texten!